Direkte Schrift
146. Die Pneumatographie ist die von einem Geiste unmittelbar hervorgebrachte Schrift ohne jeden Vermittler. Sie unterscheidet sich von der Psychographie darin, dass diese die Übertragung des Gedankens eines Geistes mittels Schrift durch die Hand eines Mediums ist.
Das Phänomen der unmittelbaren Schrift ist ohne Widerrede eines der außerordentlichsten Gegenstände des Spiritismus; aber so befremdend es bei der ersten Betrachtung erscheinen mag, so ist es heutzutage bewiesen und unwiderlegbar. Wenn die Theorie nötig ist, um sich von der Möglichkeit der spiritistischen Phänomene überhaupt Rechenschaft zu geben, so ist sie es ohne Zweifel umso mehr in diesem Falle eines der fremdartigsten Phänomene, die sich ereignet haben – aber ohne übernatürlich zu sein, sobald man das Prinzip erfasst hat.
Bei der ersten Enthüllung dieses Phänomens war das herrschende Gefühl das des Zweifels. Auch die Idee des Betruges stellte sich ein. In der Tat: Jedermann kennt die Wirkung der sogenannten sympathetischen Tinte, deren Züge anfangs ganz unsichtbar, nach Verlauf einiger Zeit jedoch zum Vorschein kommen. Man hätte daher die Leichtgläubigkeit missbrauchen können, und wir werden nicht darauf bestehen zu behaupten, dass dies niemals geschehen ist. Wir sind vielmehr überzeugt, dass gewisse Personen – sei es in einer gewinnsüchtigen Absicht oder einzig und allein aus Eitelkeit, um an ihre Macht glauben zu machen – Ausflüchte angewendet haben. (Siehe das Kapitel: Betrug.)
Aber weil man eine Sache nachahmen kann, wäre es töricht, daraus zu schließen, dass sie nicht existiert. Hat man nicht in letzter Zeit ein Mittel erfunden, das somnambulisches Hellsehen bis zur Täuschung nachahmt? Soll man daraus schließen, weil dieser Vorgang eines Taschenspielers schon auf allen Jahrmärkten aufgeführt wurde, dass es keine wahren Somnambulen gibt? Weil einige Kaufleute verfälschten Wein verkaufen, ist das ein Grund zu glauben, dass es keinen echten Wein gibt? Ebenso verhält es sich mit der echten direkten Geisterschrift.
Die Vorsichtsmaßnahmen, um sich von der Wirklichkeit der Tatsache zu überzeugen, waren übrigens sehr einfach und sehr leicht anzuwenden, und dank dieser Vorsichtsmaßnahmen braucht man heutzutage über diesen Gegenstand keinen Zweifel mehr zu haben.
147. Da die Möglichkeit der Schrift ohne Vermittler ein Attribut des Geistes ist, da es Geister zu allen Zeiten gab und sie zu jeder Zeit die verschiedenen Phänomene, die wir kennen, erzeugt haben, mussten sie die direkte Schrift in der Antike so gut wie in unseren Zeiten erzeugt haben. Und auf diese Art kann man die drei feurigen Worte an der Wand des Festsaales des Belsazar erklären. Das Mittelalter, so reich an Wundern, die aber auf dem Scheiterhaufen unterdrückt wurden, muss auch die direkte Schrift gekannt haben, und vielleicht fände man in der Theorie Modifikationen, welche die Geister bezüglich der Materie bewirken können, und welche wir im achten Kapitel erklärt haben, den Hauptgrund des Glaubens an die Verwand- lung der Metalle.
Wie es sich auch immer mit den zu verschiedenen Zeiten erhaltenen Resultaten verhalten möge, so ist die Frage der direkten Schrift erst seit der Veröffentlichung der spiritistischen Manifestationen ernsthaft zur Sprache gekommen. Der Erste, der sie in Paris bekannt gemacht zu haben scheint, ist der Baron Güldenstubbe, welcher hierüber ein sehr interessantes Werk veröffentlicht hat, das eine große Menge Abbildungen erhaltener Schriften enthält.
In Amerika war dieses Phänomen schon seit einiger Zeit bekannt. Die soziale Stellung des Baron von Güldenstubbe, sei- ne Unabhängigkeit, die Hochachtung, die er in Welt unter den Höchstgestellten genießt, schließen jeden Verdacht eines beab- sichtigten Betruges aus; denn dieser kann durch keinen Grund des Eigennutzes erklärt werden. Man könnte vielmehr daran glauben, dass er ein Opfer der Illusion gewesen sei; aber darauf antwortet ganz entschieden eine Tatsache: es ist das Vorkommen derselben Erscheinung bei anderen Personen, indem sie sich mit allen nöti- gen Vorsichtsmaßregeln versahen, um jeden Betrug und jede Annahme eines Irrtums zu beseitigen.
148. Die direkte Schrift erhält man, sowie überhaupt die meisten nicht spontanen Manifestationen, durch Sammlung der Gedanken, durch Gebet und Anrufung. Man hat sie oft in den Kirchen, auf den Gräbern, am Fuß von Statuen oder an den Bildnissen von Personen, die man anrief, bekommen; aber es ist ein- leuchtend, dass die Örtlichkeit keinen anderen Einfluss hat, als eine größere Sammlung des Geistes und eine größere Konzentrierung der Gedanken zu bewirken. Denn es ist erwiesen, dass man sie auch ohne Nebenumstände und an den gewöhnlichsten Orten bekommt, selbst auf einem häuslichen Möbelstück, wenn man sich in der erforderlichen moralischen Verfassung befindet und wenn man sich mediumistischer Fähigkeit erfreut.
Anfangs behauptete man, dass man den Bleistift zu dem Papier legen müsse; dann könnte die Tatsache bis auf einen gewissen Punkt erklärt werden. Man weiß, dass die Geister die Bewegung und das Wegtragen der Gegenstände bewirken, dass sie dieselben er- greifen und zuweilen durch die Luft werfen. Sie können daher auch einen Bleistift nehmen und sich desselben bedienen, um Buchstaben zu schreiben. Da sie ihm vermittels der Hand eines Mediums, eines Brettchens usw. den Impuls geben, können sie das gleichfalls auf eine direkte Art tun. Aber man gelangt bald zu der Erkenntnis, dass das Vorhandensein der Bleistifte nicht nötig ist, und dass ein einfaches Stück Papier genügt, gefaltet oder nicht gefaltet, auf welchem man nach ein paar Minuten geschriebene Buchstaben findet. Hier verwandelt sich das Phänomen gänzlich und bringt uns in eine ganz andere Ordnung der Dinge. Die Buchstaben sind in der Regel mit irgendeiner Substanz geschrieben worden. Wenn man dem Geist diese zum Schreiben verwendbare Substanz nicht geliefert hat, hat er sie doch selbst gemacht, selbst gebildet; wo hat er sie hergenommen? Hier lag das Problem! Wenn man auf die von uns im VIII. Kapitel Nr. 127-128 gegebener Erklärungen zurückkehren will, so findet man darin die vollständige Theorie dieses Phänomens. Bei dieser Schreibweise bedient sich der Geist weder unserer Substanz noch unserer Werkzeuge; er macht sich also selbst die Materie und die nötigen Werkzeuge, indem er seine Materialien aus dem universellen Urelement schöpft, welches er durch seinen Willen jene Umwandlungen eingehen lässt, die zu de beabsichtigten Wirkung nötig sind. Er kann also ebenso gut einen Rotstift, Druckerschwärze oder gewöhnliche Tinte, so wie einen schwarzen Bleistift und sogar Druckbuchstaben fabrizieren, die fest genug sind, um die gedruckte Schrift hervorzuheben, wie wir es selbst feststellten.
Die Tochter eines Herrn, den wir kennen, ein Kind von 12- 13 Jahren, erhielt ganze beschriebene Seiten mit einer der Pastellfarbe ähnlichen Substanz.
149. Das ist das Ergebnis, zu welchem uns die Erscheinung, der Tabaksdose über die wir im VII. Kapitel Nr. 116 erzählt ha- ben, geführt hat, und worüber wir uns ausführlich ausgelassen ha- ben, weil wir darin die Gelegenheit sahen, eines der wichtigsten Gesetze des Spiritismus zu erforschen, ein Gesetz, dessen Kenntnis mehr als ein Geheimnis selbst der sichtbaren Welt aufklären kann. Auf diese Art kann von einem dem Anschein nach gewöhnlichen Ereignis Aufklärung hervorgehen. Man muss das Ganze mit Sorg- falt beobachten, das kann jeder wie wir tun, wenn man sich nicht darauf beschränkt, die Wirkung zu sehen, ohne deren Ursachen zu erforschen. Wenn unser Glaube von Tag zu Tag stärker wird, dann kommt dies daher, weil wir begreifen; wenn ihr ernste Anhänger gewinnen wollt, müsst ihr begreifen worum es geht. Das Begreifen von Ursachen hat ein anderes Resultat, es zieht eine Grenzlinie zwischen Wahrheit und Aberglauben.
Wenn wir die direkte Schrift der Geister aus der Sicht des Nut- zens betrachten, den sie geben kann, so werden wir sagen, dass ihr größter Nutzen bis jetzt der materielle Beweis einer ernsthaften Tatsa- che war: des Eingreifens einer verborgenen Macht, welche darin ein neues Mittel findet, sich zu offenbaren. Aber die so erhaltenen Mit- teilungen sind selten umfangreich, sie sind gewöhnlich spontan, und beschränken sich auf Worte, Sätze, oft auf unverständliche Zeichen.
Man hat in allen Sprachen welche erhalten, griechisch, la- teinisch, syrisch, in hieroglyphischen Zeichen usw., aber sie haben sich noch nicht zu schnellen und aufeinanderfolgenden Texten geeignet, welche die Psychographie, oder die Schrift durch eines Medien gestattet.