DAS BUCH DER MEDIEN oder WEGWEISER FÜR MEDIEN UND ANRUFER

Allan Kardec

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Geistwesen, die man anrufen kann


274. Man kann alle Geister anrufen, welcher Stufe sie auch angehören, die guten wie die bösen. Jene, welche das Leben erst vor kurzem verlassen haben, wie jene, welche in den ältesten Zeiten gelebt haben, Berühmtheiten wie auch die Unbekanntesten, unsere Eltern, unsere Freunde, wie auch jene, die uns gleichgültig sind. Aber damit ist nicht gesagt, dass sie immer auf unseren Ruf erscheinen wollen oder können. Unabhängig von ihrem Willen oder von der Erlaubnis, welche ihnen von einer höheren Macht verweigert werden kann, können sie durch Gründe verhindert werden, welche zu erfahren uns nicht immer gestattet ist. Wir wollen damit sagen, dass es kein absolutes Hindernis gibt, das sich der Kommunikation entgegen-stellt, mit Ausnahme dessen, was hier später gesagt werden wird. Die Hindernisse, welche einen Geist hindern können, sich kundzugeben, sind fast immer individuell und hängen oft von den Umständen ab.


275. Unter den Ursachen, welche die Manifestation eines Geistes hindern können, sind einige persönlich und andere fremd. Zu den ersteren muss man seine Beschäftigungen oder die Missionen zählen, die er zu erfüllen hat und von denen er sich nicht abwenden kann, um unseren Wünschen nachzukommen; in diesem Fall ist sein Besuch nur aufgeschoben.


Da ist noch seine eigene Lage. Obwohl der Zustand der Inkarnation für den Geist kein absolutes Hindernis ist, kann er in gewissen gegebenen Momenten ein Hindernis bilden, besonders in den niederen Welten und wenn der Geist selbst erst wenig von der Materie befreit ist. In den höheren Welten, in jenen nämlich, wo die Bande des Geistes und der Materie sehr schwach sind, ist die Manifestation fast ebenso leicht wie im herumwandelnden Zustand, und jedenfalls leichter, als in Fällen, wo die körperliche Materie dichter ist.


Die dem angerufenen Geist fremden Ursachen hängen vor allem von der Natur des Mediums ab, von der Person, welche ihn ruft, ferner vom Umfeld, in dem die Anrufung geschieht und schließlich vom Zweck dem die Sitzung dienen soll. Manche Medien erhalten in erster Linie Mitteilungen von ihren Familiengeistern, welche mehr oder weniger erhaben sein können. Andere sind geeignet, allen Geistern als Vermittler zu dienen. Das hängt von der Sympathie oder Antipathie, von der Anziehung oder Abstoßung ab, welche der Geist des Mediums persönlich auf den fremden Geist ausübt, der ihn entweder mit Vergnügen oder mit Widerwillen zum Dolmetscher annehmen kann. Ferner hängt das Gelingen, abgesehen von den inneren Eigenschaften des Mediums, auch von der Entwicklung seiner medialen Fähigkeit ab. Die Geister kommen lieber und sind eindeutiger bei einem Medium, welches ihnen keine materiellen Hindernisse entgegenstellt. Bei sonst gleichen Umständen gilt bezüglich der moralischen Bedingungen der Grundsatz: Je leichter ein Medium schreiben oder sich ausdrücken kann, desto weitreichender werden seine Beziehungen mit der geistigen Welt.


276. Man muss auch noch der Leichtigkeit Rechnung tragen, mit diesem oder jenem Geist zu verkehren, welche die Gewohnheit mit sich bringt. Mit der Zeit identifiziert sich der fremde Geist mit jenem des Mediums und auch mit dem, der ihn ruft. Abgesehen von der Frage über die Sympathie stellen sich zwischen ihnen fluidische Beziehungen ein, welche die Mitteilungen begünstigen. Deshalb ist die erste Unterredung nicht immer so befriedigend, wie man wünscht, und darum fordern die Geister oft selbst, wieder gerufen zu werden. Ein Geist, der gewöhnlich kommt, ist wie zu Hause, er ist mit seinen Zuhörern und mit seinen Dolmetschern befreundet, er spricht und handelt viel freier.


277. Aus dem eben Gesagten geht zusammenfassend hervor, dass die Fähigkeit, einen Geist zu rufen, nicht die Verbindlichkeit für den Geist einschließt, uns auf Befehl zu Diensten zu stehen, dass er zu einem Zeitpunkt kommen kann und an einem andern nicht; dass er durch ein Medium und einen Anrufer, der ihm gefällt, verkehren kann, aber nicht mit einem anderen, dass er sagen kann, was er will, ohne gezwungen zu sein, das zu sagen, was er nicht will, zu gehen wann es ihm passt, und letzlich, dass er aus Ursachen, die teilweise von seinem Willen abhängen, plötzlich ganz aufhören kann zu kommen, obwohl er sich einige Zeit sehr emsig gezeigt hat.



Aus allen diesen Gründen folgt, wenn man einen neuen Geist rufen will, dass es nötig ist, seinen Schutzgeist zu befragen, ob diese Anrufung möglich ist. Falls sie es nicht sein sollte, gibt er sehr häufig die Gründe an, und dann ist es unnütz, darauf zu bestehen.


278. Hier wirft sich eine wichtige Frage auf, nämlich, ob es mit Gefahr verbunden ist oder nicht, böse Geister zu rufen? Das hängt vom Zweck ab, den man verfolgt und vom starken Einfluss, den man über sie hat. Die Gefahr ist gleich Null, wenn man sie zu einem ernsthaften belehrenden Zweck ruft und in der Absicht, sie zu bessern; dagegen ist die Gefahr sehr groß, wenn es nur aus Neugierde oder zur Unterhaltung geschieht, oder wenn man sich unter ihre Abhängigkeit begibt, indem man sie um irgendeinen Dienst bittet. Die guten Geister können ihnen in diesem Fall sehr wohl die Macht erteilen, das zu tun, was man von ihnen verlangt, mit dem Vorbehalt den Verwegenen, später zu bestrafen, der es gewagt hatte, ihre Hilfe anzurufen und ihnen mehr Macht zuzumuten, als Gott. Es ist umsonst, sich vorzunehmen, davon in der Folgezeit einen guten Gebrauch zu machen, und den Diener zu verabschieden, wenn er den Dienst geleistet hat. Dieser Dienst den man sich leisten ließ, so gering er auch sein mag, ist ein wahrhafter, mit dem bösen Geist geschlossener Pakt, und dieser lässt seine Leute nicht so leicht los. (Siehe Nr. 212)


279. Man übt auf die niederen Geister nur durch moralische Überlegenheit eine Herrschaft aus. Die geringen Geister erkennen ihre Meister in den guten Menschen. Gegen denjenigen, der ihnen nur die Energie seines Willens, eine Art roher Gewalt entgegensetzt, kämpfen sie an und oft sind sie die stärkeren. Jemand suchte auf diese Art einen widerspenstigen Geist durch seinen bloßen Willen zu bändigen, und der Geist gab ihm zur Antwort: „Lass mich doch in Ruhe mit deinem prahlerischen Wesen, du, der du nicht besser bist als ich“. Möchte man da nicht sagen: ein Dieb predigt einem anderen Dieb Moral?



Man wundert sich, dass der Name Gottes, den man gegen sie anruft, oft ohne Wirkung ist. Der heilige Ludwig hat den Grund davon in folgender Antwort gegeben:


„Der Name Gottes hat über die unvollkommenen Geister nur in dem Mund desjenigen einen Einfluss, der sich desselben mit Autorität vermöge seiner Tugenden bedienen kann. Im Mund eines Menschen, welcher über den Geist keine moralische Überlegenheit besitzt, ist es ein Wort wie jedes andere. Ebenso verhält es sich mit den heiligen Sachen, die man ihnen vorhält. Die furchtbarste Waffe ist unwirksam in ungeschickten Händen, die sich ihrer nicht zu bedienen wissen, oder unfähig sind, sie zu tragen.“