15. Wir haben gerade das Wort Wunder ausgesprochen. Eine kurze Betrachtung dieses Gegenstandes wird in diesem Kapitel über das Wunderbare passend sein. In seiner Grundbedeutung und nach seiner Etymologie bedeutet das Wort Wunder, es sei eine außerordentliche Sache, wunderbar anzusehen; aber dieses Wort hat sich, wie viele andere, von seiner ursprünglichen Bedeutung entfernt. Heutzutage bedeutet es nach der französischen Akademie einen Akt der göttlichen Macht gegen die Naturgesetze. So ist in der Tat seine angenommene Bedeutung, und nur durch einen Vergleich und als Metapher gebraucht man es bei gewöhnlichen Dingen, die uns überraschen und deren Ursache uns unbekannt ist.
Es fällt uns nicht ein, zu erforschen, ob es Gott für gut gehalten hat, unter gewissen Umständen die von ihm selbst gegebenen Naturgesetze aufzuheben, wir haben nur das Ziel, zu zeigen, dass die spiritistischen Erscheinungen, so außerordentlich sie auch sein mögen, niemals diese Gesetze aufheben, dass sie keinen wunderbaren Charakter haben, ebenso wenig wunderbar und übernatürlich sind. Ein Wunder lässt sich nicht erklären; die spiritistischen Erscheinungen dagegen lassen sich auf die vernünftigste Art erklären; sie sind also keine Wunder, sondern einfache Tatsachen, die ihre Begründung in den allgemeinen Gesetzen finden. Ein anderes Merkmal des Wunders ist, dass es ungewöhnlich ist und einzeln auftritt. Sobald eine Sache sozusagen nach Belieben und durch verschiedene Personen bewirkt wird, so kann sie kein Wunder sein.
Die Wissenschaft macht in den Augen der Unwissenden alle Tage Wunder. Das ist der Grund, warum in der Antike diejenigen, welche mehr wussten als das Volk, meistens für Hexer gehalten wurden; und da man glaubte, dass jede übermenschliche Wissenschaft vom Teufel komme, so verbrannte man sie. Heutzutage, wo man gebildeter ist, begnügt man sich damit, sie ins Irrenhaus zu schicken.
Wenn ein Mensch, der wirklich gestorben ist, wie wir es eingangs gesagt haben, durch göttliches Eingreifen wieder zum Leben gebracht wird, so ist dies ein wahres Wunder, weil es gegen die Naturgesetze ist; wenn aber dieser Mensch nur den Schein des Todes hat, wenn in ihm noch ein Rest der verborgenen Lebenskraft vorhanden ist, und wenn die Wissenschaft oder magnetische Behandlung es dahin bringen, ihn wieder zu beleben, so ist das für aufgeklärte Menschen eine natürliche Erscheinung, aber in den Augen des unwissenden Volkes wird diese Tat für ein Wunder gelten und der Urheber dessen wird entweder mit Steinwürfen verfolgt oder verehrt werden, je nach seinem individuellen Charakter. Wenn ein Physiker in der Mitte des Feldes einen elektrischen Drachen aufsteigen und den Blitz auf einen Baum fallen lässt, so wird man diesen neuen Prometheus gewiss wie mit einer diabolischen Macht ausgerüstet betrachten. Dieser sogenannte Prometheus scheint uns nur ein Vorgänger Franklins zu sein; aber wenn Josua die Bewegung der Sonne oder vielmehr der Erde aufhält, das ist ein wahres Wunder; denn wir kennen keinen Magnetiseur, der Macht genug hätte, ein solches Wunderwerk zu bewirken.
Eine der ausserordentlichsten unter allen spiritistischen Manifestationen ist ohne Widerrede die direkte Schrift; denn diese zeigt uns in auffallender Weise die Tätigkeit der verborgenen Intelligenzen; allein sobald diese Erscheinung durch verborgene Wesen bewirkt wird, ist sie ebenso wenig wunderbar, wie alle anderen Phänomene, die man den unsichtbaren Agenten verdankt, weil diese verborgenen Wesen, welche den Raum erfüllen, eine von den Naturkräften bilden, eine Kraft, deren Einfluss sowohl auf die materielle als auch auf die moralische Welt unausgesetzt wirkt.
Indem uns der Spiritismus diese Kraft erklärt, gibt er uns einen Schlüssel zu einer Menge unerklärter und auf eine andere Weise unerklärbarer Tatsachen, die in vergangenen Zeiten für ein Wunder gelten konnten, er enthüllt uns so wie der Magnetismus, ein, wenngleich nicht unbekanntes, so doch schlecht aufgefasstes Naturgesetz, oder um richtiger zu reden: man kannte seine Wirkungen, denn sie sind zu allen Zeiten hervorgebracht worden, aber man kannte das Gesetz nicht, und die Unkenntnis des Gesetzes hat den Aberglauben erzeugt. Sobald man das Naturgesetz erkannte, verschwand das Wunderbare, und die Erscheinungen traten in die Reihe der natürlichen Dinge. Deshalb tun die Spiritisten ebenso wenig Wunder, wenn sie bewirken, dass sich ein Tisch dreht, oder dass die Verstorbenen schreiben, als ein Arzt, der einen Scheintoten wieder belebt und ein Physiker, der den Blitz hervorbringt. Derjenige, welcher behaupten würde, mit Hilfe dieser Wissenschaft Wunder zu wirken, wäre mit der Sache entweder unbekannt oder ein Schwindler.